Bedeutungsherkunft des Schiefen als Misserfolg
- Die Herkunft der Redewendung "Wird schon schief gehen!" setzt zunächst vor allem Wissen über die Herkunft des Schiefen in der Bedeutung des Unerwünschten voraus. Schief ist asymmetrisch und weicht von der natürlichen Ordnung der Dinge ab. Schon alleine dieser Zusammenhang macht das Wort schief zu einem negativ konnotierten Ausdruck, der eine falsche Ordnung oder das Misslingen der Dinge impliziert.
- Die Wendung "schief gehen" war ursprünglich jedoch weniger bildlich gemeint, als wörtlich. Ging jemand schief, dann hinkte er. Eine Verletzung oder ein Gebrechen verhinderte seinen aufrechten Gang und sein Humpeln vermittelte den Eindruck des schiefen Laufens.
- Mit der Zeit übertrug sich die Wendung des "Schiefgehens" nun von der Verwendung in Verbindung mit einem belebten Subjekt auf die Anwendung im Zusammenhang mit einem unbelebten Subjekt.
- Etwas ging schief, wenn es hinkte, also wenn es nicht mit Erwartungen übereinstimmte, so wie der schiefe Gang einer hinkenden Person sich nicht mit den Erwartungen an den Begriff des Laufens trifft. Etwas, das schief ging, war unstimmig, unnatürlich und daher falsch und unerwünscht, weil es nicht so lief, wie man es sich vorgestellt hatte.
"Schief gehen" in ironischen Wünschen
- Um das Schiefe im obigen Sinne arrangiert sich auch die bekannte Redewendung "Wird schon schief gehen!". Es handelt sich dabei um einen ironischen Wunsch, der den Hörer aufmuntern soll.
- Theorien zur Ironie gehen davon aus, dass Standardironie dem Hörer immer das Gegenteil des Gesagten vermittelt. So soll "Wird schon schief gehen!" aussagen, dass alles richtig, den Hörererwartungen angemessen und daher gut gehen wird.
- Ein Hörer erkennt Ironie durch den Kontext. So handelt es sich bei jeder ironischen Äußerung nach Grice und seinen Konversationsmaximen um eine Interferenz. Grice geht davon aus, dass der Hörer über jede Äußerung annimmt, der Sprecher habe das Gesagte zur Sache, so kurz wie möglich, ferner stilistisch klar und der Wahrheit entsprechend formuliert.
- Jene Konversationsmaximen setzt Grice für eine gelingende Kommunikation voraus. Er nimmt an, dass sie Hörer und Sprecher immer vertraut sind und jeder Hörer voraussetzt, dass der Sprecher sie nutzt.
- Stellt der Hörer nun fest, dass der Sprecher gegen eine der Maximen verstoßen hat, so nimmt er an, der Verstoß sei ein absichtlicher, der der gegebenen Aussage einen Mehrwert geben soll. Ein solcher absichtlicher Verstoß wird als Interferenz bezeichnet.
- Erklärt ein Sprecher einem Hörer, es würde schon schief gehen, so mag der Hörer durch den Kontext und seinen gemeinsamen Erfahrungsraum mit dem Sprecher also eine Interferenz erkennen.
Deutung der Ironie - "Wird schon gut werden!"
- Sprecher und Hörer seien beispielsweise gute Freunde und der Kontext der Konversation sei, dass der Hörer vor einer Operation stehe. Vernimmt er den Sprecher sagen: "Wird schon schief gehen!", so wird er davon ausgehen, der Sprecher verstoße mit jener Aussage absichtlich gegen die Konversationsmaximen, da jener Wunsch in seiner eigentlichen Bedeutung unmöglich der Wahrheit entsprechen könne, wenn die beiden Freunde sind.
- Der Hörer erkennt also eine Interferenz im Wunsch des Sprechers, er erkennt die ironische Aussage und weiß sie mit dem Gegensatz des eigentlich Ausgesagten zu deuten.
- Nun stellt sich dem Hörer unterbewusst die Frage, warum der Sprecher eine ironische Aussage der direkten bevorzugt. Warum wählt der Sprecher "Es wird schon schief gehen!" anstatt zu sagen, "Alles wird gut gehen!" und dem Hörer damit den Mehraufwand der Interpretation zu ersparen?
- Da der Hörer noch immer davon ausgeht, der Sprecher drücke sich immer so kurz und klar wie möglich aus, nimmt er nun an, der Sprecher müsse einen guten Grund für die Wahl der ironischen statt der direkten Darstellung haben, auch, wenn die ironische mit einem höheren Interpretationsaufwand verbunden ist.
- Die Aussage "Es wird schon schief gehen!" muss demnach ein Mehr enthalten, das in der Aussage "Alles wird gut gehen!" nicht gegeben ist, weil ein Sprecher ansonsten immer den direkten Ausdruck wählen würde.
- Die moderne Linguistik geht davon aus, dass Ironie anders als eine direkte und nicht-ironische Aussage fähig ist, eine Verstärkung des eigentlichen Wunsches auszudrücken, weil eine Bandbreite von Sprechergefühlen, Hoffnungen und Wünschen transportiert wird, wie sie durch eine direkte Wendung nur mit Dutzenden Sätzen wiedergegeben werden könnte.
- So meint die Aussage "Es wird schon schief gehen!" nicht alleine das Gegenteil "Es wird schon gut gehen!", sondern transportiert zudem unausgesprochene Sprecheremotionen. "Ich mag dich", "ich wünsche dir das Beste, alles wird gut werden", "du musst keine Angst haben", "du kannst dich nun beruhigen" und eine Vielzahl anderer Implikationen dieser Art werden mit der Ironie transportiert, und da ein Sprecher sich laut Konversationsmaximen so kurz und klar ausdrückt, wie möglich, wählt er als Wendung die ironische vor der eigentlichen Aussage.
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