Der Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts bedeutet nicht, dass dieses Grundrecht tatsächlich auch verletzt ist. Der Grundrechtsschutz kann nach unserem Verständnis nämlich nicht absolut sein. Ein Grundrecht muss je nach seiner Ausgestaltung eine verfassungsimmanente Schranke anerkennen. Als Bürger sollten Sie wissen, wie Sie die Grenzen Ihrer Grundrechte bestimmen.
Jede Schranke muss gesetzlich legitimiert sein
- Das Individualinteresse des einzelnen Grundrechtsträgers ist mit dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Individualinteresse Dritter oder dem staatlichen Interesse abzuwägen. Aufgrund solcher gegenläufiger Interessen kann ein legitimes Bedürfnis für Einschränkungen bestehen.
- Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, wenn der Grundrechtseingriff von einer Grundrechtsschranke gedeckt ist. Allerdings müssen Sie wissen, dass es kein in sich geschlossenes oder aufeinander abgestimmtes System von Grundrechtsschranken gibt.
- So kann zum Beispiel in das Grundrecht auf Leben (Art. 2 II 1 GG) "durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" eingegriffen werden, in das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) nach dem Wortlaut des Grundgesetzes dagegen nicht.
- Um diesen Widerspruch der Lebenspraxis anzupassen, hilft sich das Bundesverfassungsgericht damit, dass es neben den in der Verfassung ausdrücklich genannten Schranken (verfassungsunmittelbare Grundrechtsschranken) eine Einschränkung auch ohne ausdrückliche Grundrechtsschranken anerkennt. Man spricht dann von einer verfassungsimmanenten Schranke des Grundrechts.
Einfacher und qualifizierter Gesetzesvorbehalt
- Eine verfassungsunmittelbare Grundrechtsschranke ist im Grundrechtsartikel direkt ausformuliert. Im Gesetzestext heißt es dann, dass in ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden kann (einfacher Gesetzesvorbehalt).
- In Art. 5 II GG heißt es, dass die Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft ihre Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre findet (qualifizierter Gesetzesvorbehalt).
Verfassungsimmanente Grenzen sind allgemeinverständlich
- Die verfassungsimmanente Schranke eines jeden Grundrechtsartikels trägt dem Umstand Rechnung, dass Grundrechte nicht schrankenlos ausgeübt werden können. So ist leicht verständlich, dass die Tötung eines Menschen auf der Bühne nicht von der Freiheit der Kunst gedeckt sein kann.
- Dabei ist zu beachten, dass auch bei der Anwendung der verfassungsimmanenten Schranke eine Norm den Eingriff legitimieren muss. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Prinzip des Gesetzesvorbehalts, wonach staatliche Eingriffe nicht willkürlich sein dürfen und jeder Eingriff in die Freiheit und das Eigentum einer gesetzlichen Grundlage bedarf. So ersetzt die Annahme einer verfassungsimmanenten Schranke lediglich den Gesetzesvorbehalt, nicht aber das einschränkende Gesetz.
Mohammedaner-Fall vor dem Bundesverfassungsgericht
- Beispiel: Mohammedaner-Fall (BVerfGE 24, 245): Ein Mohammedaner hörte in der Hamburger Innenstadt die Kirchturmglocken der Petrikirche viermal schlagen. Da er als Moslem nach dem Koran verpflichtet ist, täglich pünktlich um 16:00 Uhr einen Teppich auszubreiten und das Gebet abzuhalten, ließ er sich auf der Fahrbahn nieder, breitete seinen Teppich aus und begann zu beten. Da er den Verkehr behinderte, wurde er von einem Polizisten mit sanfter Gewalt auf den Bürgersteig befördert. Er sah sich in seinem Grundrecht auf Religionsfreiheit beeinträchtigt. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Freiheit der Religionsausübung von einer immanenten Grundrechtsschranke aufgrund des Rechts der übrigen Verkehrsteilnehmer auf ungehinderte Fortbewegung gemäß dem Hamburger Polizeigesetz zurücktreten musste.
- Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden Bürgers findet dort seine verfassungsimmanente Schranke, wo das Persönlichkeitsrecht eines anderen Bürgers beginnt.
- Auch wenn eine verfassungsimmanente Schranke besteht, muss die auf dieser Grundlage veranlasste Maßnahme verhältnismäßig sein. Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist, um ein bestehendes Grundrecht einzuschränken.
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