Mehrsträngigkeit und Einsträngigkeit der Handlung am Beispiel
Kaum eine Handlung in Literatur oder Film ist wirklich einsträngig. Um nun ein klareres Verständnis von den Begriffen Einsträngigkeit und Mehrsträngigkeit zu bewirken, bietet sich hier die Konstruktion einer Geschichte an, an deren Beispiel sich die Ausdrücke veranschaulichen lassen.
- Ein junger Mann wache erinnerungslos aus dem Koma auf und mache sich auf den Weg, seine Vergangenheit besser kennenzulernen und dabei im besten Falle Erinnerungen an sein Leben wach zu rütteln. Die Erzählung folge nun den Schritten des jungen Mannes, wie er wieder in sein altes Leben eintaucht und sich selbst neu kennenlernt.
- Geht man von einem Roman oder einem Film nach obigem Pitch aus, so handelt es sich bei der dargelegten Handlung um eine einsträngige. Die Erzählung konzentriert sich auf einen Charakter und eine einzige linear-progressive Handlung: Jemand macht sich auf die Suche nach sich selbst.
- Der junge Mann finde nun einen Anhaltspunkt für seine Vergangenheit oder erinnere sich an ein bestimmtes, in der Vergangenheit abgeschlossenes Ereignis.
- Legt die Erzählung von Film oder Roman nun eine in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Handlung dar und durchsetzt mit der zeitlich nacheinander konzipierten Berichterstattung zu jener die Rahmenhandlung des jungen Mannes auf der Suche nach seiner Erinnerung, so meint dies eine linear-regressive Handlung, welche in die linear-progressive Rahmenhandlung eingearbeitet wurde.
- Die Erzählung wird damit zu einer mehrsträngigen: Der eine Handlungsstrang berichtet die Vergangenheit, der andere und Rahmen bildende erzählt die Ereignisse der Gegenwart.
- Wird parallel zu der Berichterstattung über die Schritte des erinnerungslosen jungen Mannes nun davon berichtet, was beispielsweise seine Familie oder Freunde zur Zeit seines Unfalls oder zu der seiner aktuellen Spurensuche erleben, so kann auch das eine Mehrsträngigkeit der Handlung meinen.
Merkmale von mehrsträngiger Erzählung
- Es lassen sich nun Merkmale für eine mehrsträngige Erzählung zusammenfassen. Berichtet ein Roman oder ein Film getrennt von den linearen Ereignissen um mehrere Figuren, so liegt Mehrsträngigkeit vor. Die berichteten Ereignisse können sich in derselben Zeitspanne zutragen, jedoch kann es sich auch um Ereignisse mit zeitlichen Differenzen handeln.
- Wird von den Ereignissen um eine einzelne Figur berichtet, so braucht es für Mehrsträngigkeit zwingend eine zeitliche Differenz. So kann die voranschreitende Handlung der Gegenwart beispielsweise immer wieder mit Erinnerungen eines Charakters durchsetzt werden, welche für sich selbst in der Vergangenheit voranschreiten.
- Unterbrochene Linearität ist damit ein Merkmal mehrsträngiger Handlung, genauso kann die Parallelität in Mehrfigurigkeit ein solches Merkmal sein. Ferner lässt sich über einen Wechsel zwischen progressiver und regressiver Erzählung auf mehrsträngige Erzählung schließen.
- Für gewöhnlich werden alle Stränge einer Erzählung spätestens gegen Ende zusammengeführt, soll heißen, sie münden in eine einzige Szene und lösen sich damit zu Einsträngigkeit auf. Ein Roman oder Film muss somit nicht durchgehend mehrsträngig oder einsträngig sein. Mehrsträngigkeit und Einsträngigkeit sind keine konstanten Zustände, vielmehr sind sie wie alles andere in einer Erzählung variable Entwicklungen innerhalb der Handlung.
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