Wussten Sie, dass Mascha Kaleko als "der weibliche Kästner" bezeichnet wurde? Den Bekanntheitsgrad Erich Kästners erreichte sie zwar nicht, aber ihre Gedichte sprechen von zutiefst menschlichen Empfindungen und sind oftmals mit viel Selbsthumor pikant gewürzt. "Sehnsucht nach dem Anderswo" sticht als einfühlsames Lyrikwerk nüchtern und klar aus ihrem Werk hervor.
Mascha Kaleko war eine Heimatlose
- Die Dichterin des einfühlsamen Lyrikwerks „Sehnsucht nach dem Anderswo“ wurde im Jahre 1907 im heutigen Polen geboren. In den 1920er Jahren zog sie mit ihrer Mutter nach Berlin, wo sie bald in den Kreis der kreativen Boheme aufgenommen wurde. Man traf sich im „Romanischen Café“, das ein Treffpunkt für Kunst und Literatur war und wo Mascha Kaleko die Bekanntschaft von Ringelnatz, Tucholsky und auch Erich Kästner machte.
- 1938 musste sie, schon mit ihrem zweiten Mann Chemjo Vinaver verheiratet, als Jüdin vor den Nazis nach New York fliehen, wo sie die Familie mit Werbetexten und kleinen Zeitungsartikeln über Wasser hielt. Sie nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an, überwand aber nie den Verlust ihrer Heimat Deutschland.
- Auch der frühe Tod ihres einzigen Sohnes Steven war ein Schicksalsschlag, den sie zeitlebens nicht verkraftet hat. Sie zog schließlich mit ihrem Mann nach Jerusalem, konnte dort aber weder kulturell noch sozial Fuß fassen. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1973 floh sie der Isolation in Israel im Jahre 1974 nach Berlin. Auch dort war sie ihrer Heimat aber schon entwurzelt, und als sie dann in die Schweiz reiste, war dies ihre letzte Station auf der Suche nach einem Zuhause. Sie verstarb am 21. Januar des Jahres 1975 in Zürich an einem Krebsleiden.
Interpretationshilfe für “Sehnsucht nach dem Anderswo”
- Mascha Kalekos Gedicht “Sehnsucht nach dem Anderswo” zeichnet sich durch Klarheit und Nüchternheit aus.
- Geschrieben ist das Gedicht als Achtzeiler mit verschiedenen Versmaßen. Eine durchgehend einheitliche Metrik ist nicht vorhanden, mehrstufige Jamben, Trochäen, Daktylen und Anapäste wechseln einander ab.
- In den ersten beiden Versen wird das Bild eines idyllischen Zuhauses geschildert, in dem duftende Äpfel und eine knisternde Feuerstelle Heimeligkeit verbreiten.
- Gleich anschließend wird jedoch im dritten und vierten Vers das Draußen beschrieben, das mit Vagabundenluft und Abenteuer als Kontrapunkt zum scheinbar trauten Heim lockt.
- Im fünften und sechsten Vers rekapituliert Mascha Kaleko ihre eigenen Lebenserfahrungen, indem sie feststellt, dass der Sehnsucht nie zu entfliehen ist, wobei sie im siebten und achten Vers hervorhebt, dass die Sehnsucht gleich schwer zu ertragen ist, wenn man sich draußen nach dem Drinnen sehnt und drinnen nach dem Draußen.
- Das “Anderswo” in Mascha Kalekos Lyrikwerk ist stellvertretend für die verschiedenen Stätten, an denen die Dichterin gelebt hatte, eine Heimat, ein Heim gesucht hatte und es letztlich immer wieder verlassen musste.
- Die daraus entwachsende Sehnsucht nach einem Ort, an dem sich nicht nur der Körper und der Geist, sondern auch die Seele heimisch fühlt, ist der Dichterin ein steter Begleiter ihres Lebens gewesen.
Mit spielerisch leichter Einsicht scheint die Lyrikerin die Tatsache akzeptiert zu haben, dass man dieser “Sehnsucht nach dem Anderswo” offenbar nie zu entfliehen imstande ist, gleichgültig, in welche Stadt oder in welches Land man auch immer zu entfliehen trachtet.
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