Was der Etikettierungsansatz ist
- Sie sollten erst einmal wissen, dass Kriminalsoziologie die Gründe für abweichendes Sozialverhalten untersucht, wobei abweichend hier die Neigung zu kriminellen Verhaltensweisen impliziert. Um also Abweichungen des Sozialverhaltens in jenem Sinne zu erklären, greift die Kriminalsoziologie auf unterschiedlichste Ansätze zurück, wobei einer der dabei bekanntesten der Etikettierungsansatz sein dürfte.
- Dass Kriminalsoziologie Abweichungen überhaupt erforschen kann, setzt die Existenz von Sozialnormen voraus. So geht die Forschungsrichtung davon aus, dass der Mensch sich für gewöhnlich "sozial" verhält und Kriminalität als eine radikale Abweichung von sozialem Handeln interpretierbar ist. Warum jemand also kriminell handelt, obwohl das soziale Handeln in seiner Natur liegt, erklären kriminalsoziologische Ansätze wie der Etikettierungsansatz.
- Die Abweichung des Verhaltens beschreibt der Etikettierungsansatz nun als nicht objektiv vorhanden, sondern sozial zugeschrieben. So soll das menschliche Verhalten nur dann von Sozialität abweichen und im obigen Sinne von Kriminalität geprägt sein, wenn für den Betroffenen eine derartige Rolle definiert wird. Kriminalität wird damit also als eine Reaktion auf die erklärt, was wiederum ausschließt, dass jemand aus sich heraus "kriminell" ist.
Ursprung und Bedeutung des kriminalsoziologischen Ansatzes
- Sie sollten zunächst vielleicht wissen, dass die Schule des Interaktionismus eine nicht unbedeutende Rolle für die Entstehung des Etikettierungsansatzes spielt. So geht diese davon aus, dass Sozialphänomene von sich aus keine objektive Bedeutung haben, sondern ihre Bedeutung erst durch soziale Aushandlungsprozesse erhalten.
- Übertragen auf das Modell der Kriminalität meint dies, dass eine Tat nicht in sich kriminell ist, sondern allein deswegen, weil sie einst als kriminell definiert wurde. Schlussendlich sollte diese Erkenntnis die Notwendigkeit des Hinterfragens mit sich bringen. So will der Interaktionismus zunächst herausfinden, warum eine bestimmte Verhaltensweise als kriminell definiert wurde, auf welche Autorität jene Definition zurückgeht und inwieweit die Allgemeinheit mit jener Definition einverstanden war oder ist. Was durch jenes Hinterfragen schlussendlich geschieht, ist eine Deobjektivierung von Kriminalität.
- Sie werden sich nun vorstellen können, was der Etikettierungsansatz über Straftäter aussagt. So ist die Grundannahme im Sinne des Interaktionismus, dass jemand kein Straftäter ist, weil er eine Straftat begangen hat, sondern ein Straftäter wird, wenn er als solcher definiert wird.
- Damit zusammenhängend stellt der Etikettierungsansatz den Vorwurf in den Raum, dass ein Straftäter weniger Täter einer Straftat ist, sondern Opfer einer Kategorisierung als Straftäter. Jener Vorwurf wird fachmännisch als Stigmatisierungsvorwurf bezeichnet. Daneben hängt mit dem Etikettierungsansatz der sogenannte Relativismusvorwurf zusammen, welcher darauf hinweist, dass Objektivität niemals existent sein kann und so die Kategorisierung eines Menschen als Straftäter auf nichts als Willkür und Beliebigkeit zurückzuführen ist.
- Zum besseren Verständnis sei Ihnen abschließend ein Beispiel an die Hand gegeben: Nur der ist ein Dieb, für den ein Gericht feststellen kann, dass er absichtlich eine Norm gebrochen hat. Das lässt sich niemals zweifelsfrei und objektiv feststellen, womit die Kategorisierung "Straftäter" von der Willkür der Kategorisierenden abhängt.
Abschließend scheint es nun fast unausweichlich, Akira Kurosawas Worte zu zitieren und sich einzugestehen, dass der Etikettierungsansatz wahrscheinlich Recht hat, denn: In a mad world only the mad are sane.
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