Die Prosaskizze - eine Definition
- Bei der Prosaskizze handelt es sich um eine Form der Literatur mit besonderen Merkmalen, was Gestalt und Inhalt betrifft. Im Vordergrund stehen dabei einerseits die Kürze des Textes und andererseits die Schilderung der Gefühle und Wahrnehmungen des Erzählers.
- Schon das Wort "Prosaskizze" deutet an, dass es sich um etwas Skizziertes, Unausgeführtes handelt. Hier bringen Schriftsteller kurze Momentaufnahmen zu Papier, die auch weniger als eine Seite lang sein dürfen. Der Inhalt der Erzählung bleibt dabei weitestgehend offen. Die eigentliche Handlung tritt vollständig hinter der Wahrnehmung zurück.
- Es geht dabei um die lebhafte Schilderung von Farben, Lichtverhältnissen, Geräuschen und Gerüchen, die ein bestimmtes Gefühl erzeugen. So erzählt die Prosaskizze nicht eine ganze Geschichte, sondern zeigt einen kleinen Ausschnitt, der eine bestimmte Stimmung einfängt, die sie dem Leser näher bringt.
- Diese Beschreibungen werden in Prosa festgehalten. Es gibt also weder Verse noch Reime oder szenische Darstellungen. Häufig wird auch die Wiedergabe eines Dialogs dazu benutzt, die entsprechende Stimmung zu erzeugen. Hier müssen Sie mitunter zwischen den Zeilen lesen, um die tatsächliche Tragweite der Prosaskizze zu erfassen. Doch auch nicht fiktionale Texte sind in diesem Genre möglich.
So entwickelte sich die literarische Form
- Die Anfänge der Prosaskizze liegen im 18. Jahrhundert. Durch den Philosophen und Theoretiker Shaftesbury beeinflusst, beschäftigten sich im Zuge der Aufklärung auch Schriftsteller mit dem Empfinden. Die innere Form gewann mehr Bedeutung im Vergleich zur äußeren.
- Die literarische Strömung des Naturalismus griff von 1870 bis 1900 dieses Gedankengut auf. Schriftsteller wie Arno Holz oder Johannes Schlaf nutzten die Form der Prosaskizze für Ihre Ideen.
- Im darauffolgenden Impressionismus entwickelten von 1890 bis 1910 beispielsweise Rainer Maria Rilke und Peter Altenberg das Genre weiter. Doch auch unter den Schriftstellern des 20. Jahrhunderts hatte die Prosaskizze Bestand. So schrieben Thomas Mann und Max Frisch berühmte Texte in dieser Art.
- Häufig wird diese Form auch als Prosaminiatur oder Ideenskizze verwendet. Dabei nutzen Literaten die kurze Ausführung, um plötzlich aufkommende Ideen rasch festzuhalten und gegebenenfalls später zu einem Roman auszuführen. Weitere Überschneidungen gibt es durch die Kürze des Textes mit den Genres der Parabel, dem Prosagedicht und der Erzählung. Im nichtfiktionalen Bereich mit dem Kurzessay und der Reportage. Bei Letzterem nicht nur durch die Kürze, sondern auch durch das geschilderte Erleben.
Bekannte Prosaskizzen
- Der wichtigste Vertreter des Genres Prosaskizze ist Peter Altenberg. Altenberg war ein österreichischer Schriftsteller des Impressionismus, der von 1859 bis 1919 lebte. Mit bürgerlichem Namen hieß er Richard Engländer. Keiner vermochte es, das tägliche Leben und die besondere Gesellschaft in und um Wiener Kaffeehäuser genauer zu treffen als er. Dabei lässt Altenberg vieles nur angedeutet und verzichtet auf genaue Beschreibung. Es ist die jeweilige Atmosphäre, die er seinen Lesern zugänglich machen wollte.
- In seiner Prosaskizze "Flirt" schildert er die Unterhaltung eines Schriftstellers mit einer jungen Dame. Statt, wie erwartet, hohe Literatur und witzige Bonmots von sich zu geben, langweilt er sie mit belanglosen Themen. Mit der Wichtigkeit des Schlafes, der Qualität des besten Reises und den Vorteilen einer Zitronenpresse, kann er sie nicht beeindrucken. Ihre Freundinnen beobachten die Szene eifersüchtig aus der Ferne, ohne zu ahnen, worum es in der Unterhaltung geht. Später nimmt der Literat eine zufällig neben ihm sitzende Eisverkäuferin in seinem Wagen mit. Er ist sich sicher, dass sie Interesse an ihm hat. Doch als er sie zu ihrem Zug bringt, verweigert sie ihm einen Kuss und geht.
- In "Der Brand" erreicht den Erzähler im Café die Nachricht eines großen Brandes in der Nähe des Stadtparks. Er eilt sofort hin und findet die Feuerwehr in heller Aufruhr, beschäftigt mit dem Löschen eines großen Stadtpalais. Doch das, was seine Aufmerksamkeit schließlich fesselt, ist ein stilles, einsames Paar im dunklen Park. Sie schauen ohne Regung auf das Spektakel. Es ist die Stille und Dunkelheit um sie herum, die dem Erzähler im Gedächtnis bleibt.
- Auch Thomas Mann, einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, verfasste bekannte Prosaskizzen. 1893 schrieb er für die Zeitschrift "Der Frühlingssturm" den Text "Vision". Hier schildert ein namenloser Ich-Erzähler, in Gedanken oder sogar einen Traum versunken, den Armreif einer jungen Dame. Sehr detailliert beschreibt er seine aufwallenden Gefühle und das Zimmer, in dem er sich mit der Frau befindet. Der feuerrote Rubin am Reif der Frau lässt ihn an Blut denken. Besonders fasziniert ist der Erzähler von einer blauen Ader am Unterarm der Frau, die ihn an die Leidenschaft einer vergangenen Liebe erinnert. Schließlich bewegen den Ich-Erzähler diese Wahrnehmungen so sehr, dass er um seine verlorene Liebe weinen muss.
- In "Enttäuschung" von 1896 beobachtet ein Erzähler einen Mann, der auf dem Markusplatz in Venedig auf und ab geht. Eines Abends erzählt ihm der Fremde von den Enttäuschungen seines Lebens. Nun wartet dieser nur noch auf die letzte Enttäuschung seines Lebens, den Tod.
Die Prosaskizze ist besonders im deutschsprachigen Raum eine wichtige literarische Gattung, die ihren Höhepunkt im Impressionismus hatte. Doch auch moderne Schriftsteller setzen sich mit dem Genre weiterhin auseinander. In jedem Fall bietet die Prosaskizze Ihnen Lesespaß, auch wenn nur wenig Zeit ist. Lassen Sie sich ein, auf die Welt der Wahrnehmung und der Gefühle.
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