Ein Atomkraftwerk gleicht nicht unbedingt dem anderen
Bevor Sie ein Atomkraftwerk zur Besichtigung aussuchen, sollten Sie die verschiedenen Kraftwerktypen kennenlernen.
- Schwimmbad-Kraftwerke tauchen die Brennelemente in offene Wasserbecken, um Experimente zu Forschung und Ausbildung durchzuführen.
- DWR-Kraftwerke sind Druckwasserreaktoren. Das Kühlwasser des Primärkreislaufes steht darin unter erhöhtem Druck.
- SWR-Kraftwerke sind dagegen Siedewasserreaktoren, in denen Kühlwasser als direkter Antrieb der Turbine zu Dampf wird.
- Nullleistungsreaktoren bieten geringe thermische Leistung und dienen Ausbildungs- und Forschungszwecken.
- Auch TRIGA-Kraftwerke sind Forschungsreaktoren. Allerdings solche des Schwimmbad-Typs, in denen Naturgesetze für die Sicherheit sorgen.
- HDR-Reaktoren sind Heißdampf-Siedewasserreaktoren, in denen nukleare Überhitzung stattfindet.
- HTR-Kraftwerke entsprechen dagegen Hochtemperaturreaktoren. Helium kühlt hierin den Reaktorkern durch Helium. Das Helium-Gas erfährt dazu bei Durchströmen einer Schüttung von kugelförmigen Brennelementen Erhitzung.
- HWR-Kraftwerke sind Heavy Water Reaktoren, die schweres Wasser als Kühlung und Moderator einsetzen.
- HWCRs sind ebenso schwerwassermoderierte, aber CO2-gekühlte Druckröhrenreaktoren. CO2-Gas umläuft hierin die Brennelemente.
- MTR-Typen sind Materialtestreaktoren, die einen kompakten Kern aufweisen und so enorme Neutronenflussdichte erreichen.
- SBR steht für schnelle Brutreaktoren, deren Kernspaltung über ungebremste Neutronen läuft.
Diese Kernkraftwerke gibt es in Deutschland
In Deutschland gibt es sowohl Atomkraftwerke in Betrieb, solche in Nichtleistungsbetrieb und stillgelegte Anlagen.
- In Betrieb sind 2014 das KBR Brokdorf, das GWG Grohnde, das KKE Emsland und das KKG Grafenrheinfeld. Außerdem sind das KKP-2 Phillipsburg, das GKN-2 Neckarwestheim, das KKI-2 Isar und die Werke KRB B und KRB C Gundremmingen aktiv. Dasselbe gilt für das Forschungskraftwerk Mainz.
- Im Nichtleistungsbetrieb befinden sich 2014 das KKB Brunsbüttel, das KKU Unterweser und das KKK Krümmel. Nichtleistungsbetriebreaktoren sind auch das KWB A Biblis, sowie das KKP-1 Phillipsburg, das GKN-1 Neckarwestheim und das KKI-1 Isar.
- Zu den gänzlich stillgelegten Anlagen zählen vor allem die Kraftwerke Großwelzheim, Niederaichbach und Lingen. Karlsruhe und Karl sind weitere Beispiele. Ebenso stillgelegt sind die Werke Jülich, Würgassen, Rheinsberg, Mühlheim-Kärlich und Hamm-Uentropp. Außerdem sind das KRG-A Gundremmingen, Stade und Obrigheim stillgelegt. Das KGR-1-5 Greifswald in Lubmin komplettiert diese Liste.
Auch einige Kernkraftwerke, die nur teils gebaut wurden und/oder nie in Betrieb gingen, gibt es noch. Bad Breisig und Neupotz gehören dazu.
Die Besichtigung ist nicht in jedem Reaktor möglich
Nicht jedes beliebige Kernkraftwerk innerhalb Deutschlands können Sie begehen. Außerdem eignet sich nicht jedes Atomkraftwerk gleich gut für den jeweiligen Besucheranspruch. Stillgelegte Anlagen werden Stück für Stück abgebaut. Sie erwartet dort daher beispielsweise ein völlig anderes Bild, als in einem Nichtbetrieb-Atomkraftwerk. Machen Sie sich diesen Aspekt daher vor dem Besuch bewusst.
- Besichtigungen einer Anlage im Nichtleistungsbetrieb sind zum Beispiel in Biblis möglich. Dasselbe gilt für die Nichtleistungsbetrieb-Werke Gundremmingen, Phillipsburg, Neckarwestheim und Emsland. Über Kontaktaufnahme zum jeweiligen Informationszentrum der Anlagen können Sie Termine vereinbaren. Die Besichtigung ist in der Regel kostenlos.
- Um zu erfahren, welches stillgelegte Kernkraftwerk Sie besichtigen können, nehmen Sie Kontakt zum Informationskreis Kernenergie auf. Ebenso informativ kann ein Gespräch mit dem EWN-Konzern ausfallen. Das Unternehmen beschäftigt sich mit den Rückbauarbeiten stillgelegter Werke und der Überführung in die Endlagerung.
- Für Block Sechs des rückgebauten Atomkraftwerks Greifswald ist beispielsweise eine Besichtigung mit Führung möglich. Der Besuch beginnt mit der Kontaktaufnahme zum EWN-Konzern. Die Besichtigung von Block Sechs ist für Sie deshalb unbedenklich, weil dieser Block nie mit Brennelementen beladen war.
- Sogar eine Besichtigung aktiver Reaktoren ist unter Umständen möglich. Das gilt beispielsweise für den Forschungsreaktor BER II in Berlin.
Besucher müssen zur Reaktorbesichtigung Grundvoraussetzungen erfüllen
Trotz oder gerade wegen der Sicherheitsvorkehrungen darf nicht jeder ein Kernkraftwerk besichtigen.
- Als Mindestalter für Besucher gilt in der Regel ein Alter von 12 Jahren. Um das Reaktorhaus zu betreten, sind 18 Jahre die Mindestanforderung.
- In jeder Einrichtung, die in Zusammenhang mit Radioaktivität steht, herrschen strenge Sicherheitsrichtlinien. Daher ist eine namentliche Anmeldung immer erforderlich.
- Besucher müssen grundsätzlich einen gültigen Ausweis vorlegen. Ohne diese Verifizierung der Identität sind Begehungen unzulässig.
- Für die Besichtigung eines Reaktors in Betrieb müssen Sie sich außerdem einer Sicherheitsprüfung unterziehen. Diesen Vorgang sollten Sie bei der Anmeldung mit dem zuständigen Infozentrum besprechen.
- Meist sind die Touren nicht behindertengerecht. Falls eine körperliche Einschränkung besteht, daher mit dem Infozentrum über Möglichkeiten und Grenzen sprechen.
- Die Besichtigung erfolgt ausdrücklich und immer auf eigene Gefahr. Zusätzlich gilt die Verantwortung, den Anweisungen des Kraftwerkpersonals der eigenen Sicherheit zuliebe, Folge zu leisten.
Eine Besichtigung im stillgelegten Atomkraftwerk Biblis
Damit Sie einen Eindruck gewinnen, wie ein Reaktorbesuch aussehen kann, ein Beispiel des Leichtwasser-Druck-Reaktors Biblis:
- Vor dem Eintritt in die Druckausgleichskammer ziehen Sie sich um. Sie kleiden sich aus Sicherheitsgründen in einen Overall und durchlaufen die Kontrolle.
- Sie werden radioaktive Substanzen aus nächster Nähe sehen. Mit einem vorher ausgeteilten Strahlungsmessgerät erkennen Sie, wie effektiv riesige Wassermassen die Radioaktivität abschirmen.
- Den Dampferzeugerraum dürfen Sie in der Regel ebenso durchschreiten, wie den Lüftungsraum der Hermetik. Auch der Pumpenringeraum um den Reaktor ist Ihnen zugänglich. Den Reaktorraum selbst werden Sie allerdings nur in Einzelfällen und mit guter Begründung sehen können.
- Den Überwachungsraum, den Druckhalter und das Nasskondensationssystem sind wieder konventionelle Besichtigungsbestandteile.
- Die Tour dauert meist zwei bis drei Stunden und ist kostenlos. Zur Vorbereitung können Sie sich in die Themen Atomkraft, Abschaltung und Endlagerung einlesen. So werden Sie viel von Ihrem Besuch mitnehmen. Allerdings stehen auch ein Informationszentrum und das Führungspersonal am Besichtigungstag für Fragen zur Verfügung. Teilweise wird vor der Begehung des AKWs sogar ein Film gezeigt.
Kraftwerksbesuche sind genauso faszinierend, wie beängstigend
Atomkraft ist das Ewige in der Sphäre des Zeitlichen. So hat es schon ukrainischer Autor und Nationalheld J. Andruchovytsch beschrieben, als sich 1986 die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete. Deren Folgen bleiben bis heute spürbar. Wegen genau solcher Ereignisse steht der Ausstiegsplan aus der Atomenergie bevor. Atomkraft ist eine der faszinierendsten und zugleich beängstigenden Entwicklungen seit jeher. Das Ewige lässt sich vom Zeitlichen nämlich nicht bestimmen oder weniger poetisch: Der Mensch kann Atomkraft auch heute nicht kontrollieren. Da Atomenergie dessen ungeachtet noch immer wissenschaftlich eindrucksvoll ist, sollten Sie ein AKW zumindest einmal aus nächster Nähe gesehen haben. So werden Sie neben dem faszinierenden Teil vielleicht auch den beängstigenden besser verstehen. Wieso 2022 abgeschaltet werden soll, werden Sie wahrscheinlich erst dann richtig nachvollziehen können. Bevor Sie keine Möglichkeit mehr dazu haben, lernen Sie eine Technologie kennen, die genauso revolutionär war, wie sie sich als katastrophal herausstellte.
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