Ebenso wie der Naturalismus wollten bürgerlicher und poetischer Realismus die Wirklichkeit und das Individuelle abbilden und nicht - wie etwa die Klassik - das Ideale darstellen. Im Unterschied aber zum Naturalismus blenden bürgerlicher und poetischer Realismus das Negative der Erscheinungen aus.
Bürgerlicher oder poetischer Realismus
Mit großer Liebe zum Detail schilderten die dem poetischen oder bürgerlichen Realismus verpflichteten Schriftsteller die dingliche Welt. Dabei wurde - insbesondere im deutschen Realismus - von Autoren wie Friedrich Hebbel, Gottfried Keller, Adalbert Stifter oder Theodor Storm in erster Linie das Leben des Bürgertums beschrieben und in gewisser Weise verklärt. Bevorzugte Themen waren:
- Der Konflikt zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen: Hier wurde viel Wert auf die Beschreibung des inneren Erlebens des Individuums gelegt. Lange bevor es die Psychologie als wissenschaftliche Disziplin gab, untersuchte die Literatur psychische Phänomene.
- Historische Themen: Geschichte wurde im 19. Jahrhundert als Universalwissenschaft angesehen, in der sich alle wichtigen Bereiche des Lebens spiegeln. Historische Ereignisse wurden mit aufwendig recherchierten Details möglichst wirklichkeitsnah geschildert.
- Die sozialen Unruhen: Das 19. Jahrhundert war von der entstehenden Arbeiterbewegung geprägt. Das spiegelt sich auch in den Romanen des bürgerlichen oder poetischen Realismus, zum Beispiel in Emile Zolas „Germinal“.
- Die mittleren Schichten: Bürgerlicher und poetischer Realismus schilderten nicht mehr die Belange der oberen Kreise der Gesellschaft, sondern das Leben der Angestellten, der Kaufleute, der Handwerker und der Intellektuellen. Dabei wurden Fleiß, Heimatliebe und die Liebe zur Natur besonders herausgestellt und die Vorzüge des Wahren, Einfachen im Unterschied zum Künstlichen oder Dekadenten betont.
Unterschied zum Naturalismus
Der Begriff poetischer Realismus umschreibt die Bereitschaft, vor allem die schönen, poetischen Aspekte der Wirklichkeit zu betrachten. Mit der Formulierung „bürgerlicher Realismus“ weist man auf die Bevorzugung der Schilderung des Bürgertums als gehobener Gesellschaftsschicht hin, in der existenzielle Fragen weitgehend ausgeklammert bleiben. Im Unterschied zu dieser optimistischen Sichtweise ist der Naturalismus auch bereit, sich den negativen Seiten des Lebens zu widmen, ja er hat geradezu eine Vorliebe für diese Aspekte.
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