Die Achtundsechziger und ihre Herrschaftskritik
Wenn man an die Achtundsechziger denkt, hat man schnell die damalige Studenten-Protestbewegung im Kopf. Die jungen Leute richteten ihren Zorn damals gegen die prüde und konservative Nachkriegsgesellschaft, die sich in gutbürgerliche Verhältnisse flüchtete, um die Schrecken des zweiten Weltkriegs vergessen zu machen.
- War es im Dritten Reich die animalische Seite des Menschen, das "Es", das allzu häufig die Regenschaft übernahm, wurde die Gesellschaft zur Zeit des Wirtschaftswunders von allzu viel Kontrolle und Selbstkontrolle bestimmt. Dagegen lehnten sich die Studenten auf, sie wollten ein freies Leben und eine weniger restriktive Lebenswelt. Vor allem Herrschaftsverhältnisse an sich waren ihnen zuwider.
- Diese Herrschaftskritik traf schließlich auch die Psychologie: Mit Bezug auf Marx wurde sie in der klassischen Richtung als Wissenschaft kritisiert, die den Menschen als etwas Abartiges, Armseliges darstelle, die ihn seinen Umständen unterwerfe. Außerdem wurde bemängelt, dass sich die klassische Psychologie allzu leicht instrumentalisieren ließe, beispielsweise wenn es um das Konzipieren von Foltermethoden geht.
Aus dieser Kritik heraus entwickelten die Achtundsechziger einen neuen Ansatz.
Kritischer Ansatz zum bestimmten und bestimmenden Menschen
Wissenschaftler wie Holzkamp und Markard waren es, die der klassischen Psychologie schließlich eine neue Richtung gaben. Von Anfang an war die kritische Psychologie als Gegenentwurf zu verstehen, der am besten in Bezug auf die klassische Richtung verstanden werden kann. Während es bei letzterer so ist, dass der Mensch als Opfer seiner Umstände, als eine Art "hilfloses" Individuum in einer feindlichen Gesellschaft oder auch Lebenssituation zu verstehen ist, dreht die kritische Theorie den Spieß um. Sie bezeichnet sich als Subjektwissenschaft, bei der der Mensch eben kein Objekt mehr ist, auf das etwas projiziert wird, sondern ein handelndes Subjekt, das seine Lebenswelt mit gestalten kann. Hieraus ergibt sich ein Anstoß zum Umdenken.
Eine neue Richtung der Psychologie
Ein Mensch, der psychische Probleme hat und darum Hilfe ersucht, ist nun also kein Spielball der Umstände mehr. Vielmehr ist er Teil einer Lebenswelt, die er selbst mit konstituiert hat. Hieraus ergeben sich Denkansätze auf der Mikro- und auf der Makroebene.
- Auf erster ist zu überlegen, wie und warum sich ein Mensch in eine Situation manövriert hat, die ihm nun als problematisch erscheint. Es ist aber auch anzuerkennen, dass dieser Mensch selbst die Mittel und Wege an der Hand hat, um sich aus dieser Situation wieder zu befreien.
- Auf der Makroebene ist zu beachten, dass die Gesellschaft nichts anderes als das Zusammenspiel der Kräfte der verschiedenen in ihr lebenden Individuen ist. So ist auch eine Gesellschaft, die auf psychologischer Ebene Schwierigkeiten erzeugt, auf die in ihr handelnden Menschen zurückzuführen.
- Und genau durch diesen Gedanken gelingt es, die klassische Psychologie auszuhebeln. Der Mensch ist keine "Ratte in der Versuchsanordnung" mehr, sondern er gestaltet die Anordnung vielmehr selbst.
- So erhält der Mensch mehr Macht und die marxistische Kritik vom "erbärmlichen" Menschen ist umgesetzt worden.
Deutliche Abgrenzung zur klassischen Psychologie
Nachdem Sie nun die Grundsätze der kritischen Psychologie kennen, ist es leicht, diese zur klassischen abzugrenzen. Auch wenn es im Folgenden so klingt, soll die klassische Psychologie aber keinesfalls verteufelt werden - sie wird vielmehr aus Denkrichtung der Kritiker aufgezeigt.
- Betrachten Sie die klassische Psychologie als große Theorie, die fragt: "Wenn es einem Menschen schlecht geht - was ist ihm dann passiert?"
- Denken Sie an die typische Psychotherapie oder Psychoanalyse. Bei dieser wird das Leben des Patienten beleuchtet und es wird nach traumatischen Erlebnissen oder schlechten Lebenssituationen gesucht.
- Der Mensch ist hierbei Objekt. Er wird betrachtet, wird behandelt und wird im besten Fall geheilt. Dies weist ihm eine klare Opferrolle zu - er ist Spielball seiner Lebensumstände.
- Die kritische Psychologie denkt dies aus einer anderen Richtung. Sie fragt nicht: "Was ist dem Menschen angetan worden?" sondern "Was kann der Mensch tun, um seine Lebensumstände zu verbessern?"
- Ausgangspunkt ist eine gänzlich andere Sichtweise: In der kritischen Psychologie ist der Mensch nicht derjenige, auf den etwas projiziert wird. Er kann nicht nur sein Leben, sondern die gesamte Gesellschaft mitgestalten.
- Bei einer Therapie nach dieser Methode müsste also die Ausgangsfrage sein: "Was können Sie anders machen?"
In der Praxis hat sich die kritische Psychologie bis dato aber nicht gegen die klassische durchsetzen können. Trotzdem ist die Wissenschaft, die an der Freien Universität Berlin entstand, vor allem dort bis heute ein Studien- und Forschungsschwerpunkt.
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