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Ganz und gar kafkaesk - Kafka und sein literarisches Werk

Typisch kafkaeskes Bild - die unendliche Weite begrenzt vom Nebel
Typisch kafkaeskes Bild - die unendliche Weite begrenzt vom Nebel
Ein junger Mann erwacht transformiert zu einem Insekt. So undenkbar das auch klingen mag, hat es doch einer geschafft, es, wenn auch nur für den Augenblick, denkbar zu machen. Als Meister aller sinnentleerten Absurdität und tiefsinniger Bedeutsamkeit ist Franz Kafka zu einem der größten Namen in der deutschen Literatur geworden. Kein Schüler kommt um sein Werk herum, ja sogar ins Wörterbuch ist er mit dem Begriff des Kafkaesken eingegangen. Über die Bedeutung seines Werkes ist man sich trotz alledem bis heute uneinig.

Typologische Aspekte - eine Typologie Franz Kafkas

Kafkas Romanfragmente und Erzählungen leben von starken Kontrasten und einer höchst antithetischer Bildsprache, welche gerne als Ursprung alles "filmisch-literarischen Erzählens" bezeichnet wird. 

  • Wie kaum ein anderer Autor nutzte Kafka - über sein gesamtes Werk verteilt - immer wiederkehrende Motiviken, was Literaturwissenschaftlern eine Typologie des Autors im Sinne von Wladimir Propps Auffassung von typologischer Einordnung ermöglicht.
  • Will man sich nun an einer solchen Typologie versuchen, so sollte dabei vorrangig Kafkas Neigung zu den polaren Motiven unendlicher Weite und bedrängender Beengung genannt werden, welche stets als eine Reflexion des Innenlebens von Kafkas Protagonisten angelegt ist. 
  • So finden sich Kafkas Charaktere meist in scheinbar auswegslosen Situationen wieder, wobei ihre Beengung auf Bildebene oft über Motive wie schmale Gassen, enge Straßen oder ummauerte Stadtviertel wiedergegeben wird. 
  • Um die Beengung noch stärker spürbar zu machen, stellt Kafka ihr besonders häufig das Motiv natürlicher Weite gegenüber. Oft beschreibt er Szenerien wie unendlich erscheinende Felder und Wasserflächen, doch die augenscheinliche Unendlichkeit begrenzt er noch im selben Zuge. So hängt beispielsweise Nebel über der eigentlichen Unendlichkeit der Felder oder Felsen begrenzen die Grenzenlosigkeit von beschriebenen Wasserflächen.
  • Die Kontrastierung von Weite und Enge lässt die Enge dabei noch bedrängender erscheinen. Kafka nutzt das Stilmittel der Polarität und Antithetik also zur Bestärkung. Seine Protagonisten sehnen sich nach der Unendlichkeit, sie sehnen sich nach einem Ausweg und doch empfinden sie sich selbst als Gefangene ihrer Situation.
  • Dabei lässt Kafka seinen Protagonisten im Grunde immer einen Ausweg aus der Bedrängnis. So beschreibt er beispielsweise Szenerien wie enge Räume, in welchen seine Protagonisten sich aufhalten, solche Räume aber beschreibt er meist als Zimmer mit Fenstern, aus denen sich die Weite dort draußen erahnen lässt oder er erwähnt mögliche Fluchtpunkte - wie beispielsweise Türen. 
  • Situationen, aus denen trotz aller Beengung ein Ausweg zu erahnen ist, konzipiert Kafka dabei nicht etwa deswegen, weil er seinen Protagonisten einen Ausweg finden lassen möchte. Meist finden sie jenen nämlich nicht und sitzen in ihrer Situation der Gefangenheit fest. 
  • Dass Kafkas Charaktere ihre scheinbar auswegslose Situation also lösen könnten und es doch nicht tun, lässt den Leser noch stärkere Beengung fühlen. Kafkas Protagonisten sind selbst für ihre Gefangenheit verantwortlich, denn obgleich die sich nach der Weite sehnen und obgleich ein Ausbrechen aus ihrer eigenen Enge möglich wäre, nutzen sie ihre Chance auf Ausbruch nicht und bleiben Gefangene.

Interpretation des kafkaesken Gesamtwerks

Kafkas Figuren sind Gefangene ihrer selbst, Kafkas Mensch ist Gefangener seiner Art, wobei er durch den Verstoß gegen ungeschriebene oder geschriebene Gesetze der Menschheit oder gar seiner selbst in eine oft sinnentleerte, immer aber absurde und rätselhaft düstere Situation gerät, der er trotz allem Streben kaum mehr zu entrinnen vermag.  

  • Lässt sich durch literaturwissenschaftliche Analyse auch die obige Grundessenz aus Kafkas Schriften filtern, so ist die Interpretation von Kafkas Werk bis heute eine sehr umstrittene.
  • Legen die einen Kafkas Schriften als religiöse Statements aus, die unter dem Einfluss von Nietzsche die Gottlosigkeit und Sinnentleertheit der menschlichen Existenz verdeutlichen wollen, wollen andere besonders biografische Aspekte in Kafkas Erzählungen und Romanfragmenten erkennen, so unter anderem in Kafkas "Die Verwandlung", welche in einem Generationenkonflikt die schwierige Beziehung wiedergeben soll, in der Kafka zu seinem eigenen Vater stand.
  • Genauso oft  hat die Literaturwissenschaft Kafkas Werk als Gesellschaftskritik bewertet, welche vor allem die Ungerechtigkeit, Chaotik und Gesetzlosigkeit der Welt sowie die scheinbar sinnentleerte Forschungsbesessenheit der Menschheit verdeutlichen habe wollen. 
  • Die immer wiederkehrende Motivik des Bettes als Entstehungsort allen Übles lässt nun genauso gut eine psychologische Auslegung von Kafkas Schriften zu. So lässt sich demnach mit dem Bett beispielsweise die Traumwelt und mit jener wiederum alles Unterbewusste assoziieren, was eine Deutung des Unterbewusstseins und Über-Ichs als größtem Feind des Menschen denkbar macht.  
  • Wie man Kafkas Werk auch interpretieren möchte, so steht doch in jedem Falle fest, dass Franz Kafka als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Moderne - ja vielleicht sogar aller Zeiten - bezeichnet werden kann.

Seine düstere Weltanschauung im Sinne des Kafkaesken wiedergegeben in Konstruktionen von real undenkbaren Welten und seine Begabung, jene undenkbaren Welten derart nüchtern zu behandeln, dass sie für den Leser doch denkbar werden, haben Kafka zu einer Legende gemacht, wie er selbst es sich zu seinen Lebzeiten wohl nicht einmal hätte erträumen wollen.

helpster.de Autor:in
Sima Moussavian
Sima MoussavianFür Sima liegt die Schule noch nicht weit zurück. Sie erinnert sich noch gut an die Inhalte. In ihrer Freizeit lernt Sima gerne neues und probiert sich dabei auch im Heimwerken.
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