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Die "soziale Frage" im 19. Jahrhundert - Ursachen und Folgen

Inhaltsverzeichnis

Düstere, enge Fabrikgebäude - im 19. Jahrhundert der Arbeitsplatz vieler Menschen.
Düstere, enge Fabrikgebäude - im 19. Jahrhundert der Arbeitsplatz vieler Menschen.
Die "soziale Frage" gehört zu den bedeutendsten sozial-politischen Problemen im 19. Jahrhundert. Sicher haben Sie in der Schule oder in den Medien bereits davon gehört. Die Hauptgründe für die sozialen Missstände dieser Zeit sind im Wandel der Agrargesellschaften und Industriegesellschaften zu suchen.

Die "soziale Frage" beschäftigte zwischen 1830 und 1900 ganz Europa - und ist Ihnen sicher schon im Geschichtsunterricht in der Schule begegnet. Definieren könnte man dieses Problem als die Suche nach einem Kompromiss zwischen sozialer Absicherung einerseits und der Maximierung des Gewinns durch moderne Produktion auf der anderen Seite. Große Teile der Bevölkerung waren davon betroffen und es dauerte lange, bis zumindest ein Teil der Missstände behoben werden konnte. Dies lag nicht zuletzt daran, dass Fabrikbesitzer zunächst kein Interesse daran zeigten, wie es ihren Arbeitern ging. Sie sollten funktionieren und Waren produzieren - und das so schnell und effektiv wie möglich.

Die Ursachen der "sozialen Frage" in Europa

  • Das 19. Jahrhundert war geprägt durch die industrielle Revolution. Immer mehr Fabriken entstanden und die Massenproduktion vieler Produkte begann. Wurden vorher noch viele Dinge des täglichen Gebrauchs in kleinen handwerklichen Betrieben gefertigt, arbeiteten nun Hunderte Menschen in riesigen Fabrikhallen.
  • Durch moderne Maschinen konnte das Produktionsniveau stark gesteigert werden und die Fabrikanten strichen astronomische Gewinne ein.
  • Die Städte wuchsen immer weiter an, teilweise vervielfachten sich die Bevölkerungszahlen. Immer mehr Menschen zogen in die Stadt, weil sie auf dem Land keine Arbeit mehr finden konnten.
  • Ganze Familien ließen sich in den Städten nieder. Das Problem war jedoch der fehlende Platz. Teilweise hausten zehn Personen in kleinen, dunklen Zimmern ohne sanitäre Anlagen.

Die Auswirkungen der sozialen Probleme in den Städten

  • Obwohl immer mehr Fabriken entstanden, gab es nicht Arbeit für jeden. Wer eine Stelle als Fabrikarbeiter ergattern konnte, war froh und traute sich nicht, gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zu protestieren.
  • Die Löhne waren enorm niedrig, denn die Fabrikanten konnten jede Arbeitskraft zehnfach ersetzen, wenn sie ausfiel. Daher blieb den Menschen nichts anderes übrig, als von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu schuften - und das sechs Tage pro Woche.
  • Die Arbeit an den riesigen Maschinen war oft gefährlich. Maßnahmen zum Arbeitsschutz gab es nicht. Häufig kam es zu Unfällen, die Arbeiter wurden krank und starben früh. Für die Familien war das eine Katastrophe, denn es gab weder Renten noch eine Kranken- oder Unfallversicherung.
  • Damit das Geld reichte, musste die ganze Familie in Fabriken arbeiten. Manche Handgriffe wurden nur von Kindern ausgeführt, weil sie klein und wendig waren. Dies war besonders oft in Bergwerken der Fall.
  • Eine Schule besuchten diese Kinder, wenn überhaupt, nur kurz und unregelmäßig. Sie konnten daher kaum lesen und schreiben, ihre Zukunft sah genauso düster aus wie die ihrer Eltern. 
  • In vielen Städten entstanden regelrechte Arbeiter-Ghettos, in denen sich Krankheiten rasend schnell ausbreiteten. Eine medizinische Versorgung gab es nicht oder war für die Arbeiter unerschwinglich.

Lösungsansätze für die Missstände in den Städten

  • Die Armut in den Städten und damit die "soziale Frage" erreichten um 1850 ihren Höhepunkt. Nach und nach versuchten der Staat, kirchliche Institutionen und neu gegründete Arbeiterverbände die Not der Menschen zu lindern und Druck auf die Industriellen auszuüben, welche die Arbeiter aus Profitgier hemmungslos ausnutzten.
  • Im Jahr 1853 wurde in Preußen ein Gesetz erlassen, welches die Arbeit von Kindern unter zwölf Jahren verbot. Zudem achteten die Behörden strenger darauf, dass die Kinder regelmäßig die Schule besuchten.
  • Konfessionelle Zusammenschlüsse, beispielsweise der katholische Kolping-Bund, begannen sich für die Arbeiter einzusetzen. Es wurden Mahlzeiten ausgeteilt und Ärzte bezahlt, die sich der verwahrlosten und kränkelnden Kinder in den Arbeitervierteln annahmen.
  • Nach und nach gründeten die Arbeiter eigene Gewerkschaften. Diese konnten erstmals mit den Fabrikanten in Verhandlung treten und die Missstände anprangern. Das erhöhte den Druck auf die Arbeitgeber und einige erklärten sich bereit, die Löhne anzuheben und den Familien eine Abfindung zu zahlen, wenn es zu tödlichen Unfällen kam oder Arbeiter aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr einsetzbar waren.
  • In Deutschland gründete sich 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die spätere SPD. Sie hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Interessen der Arbeiter politisch zu vertreten.
  • Es dauerte jedoch bis 1883, bis der Staat endlich Gesetze erließ, um die Arbeiter zu entlasten. Unter Reichskanzler Otto von Bismarck wurde zunächst ein Gesetz zur Krankenversicherung verabschiedet, es folgten umfangreiche Unfall- und Rentenversicherungsgesetze.
  • Die Lage der Arbeiter entspannte sich allmählich, die "soziale Frage" war jedoch noch lange nicht gelöst. Es dauerte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, bis besitzlose Arbeiter und schließlich auch Frauen wählen und politischen Einfluss nehmen konnten.

Möglicherweise haben Sie gehört, dass in den heutigen Medien von der "Neuen sozialen Frage" die Rede ist. Erneut wird in den Städten der bezahlbare Wohnraum knapp und soziale Gerechtigkeit ist ein Thema, welches uns noch viele Jahre beschäftigen wird.

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