Industrialisierung und Künste - Einflussfaktoren auf den Kleidungsstil des 19. Jahrhunderts
Mode, Kunstepochen und Geschichte bilden ein eng vernetztes System.
- Kunstepochen entstehen als Verarbeitung des Zeitwandels. Ereignisse wie große Kriege und allgemeine Zeitstimmungen werden von Künstlern aufarbeitend aufgegriffen und formen sich zu epochalem Stil aus. Während des Barocks beispielsweise wurden die Kriege und Toten des 18. Jahrhunderts aufgearbeitet. Eine Epoche nimmt schließlich Einfluss auf die darauffolgende, weil die sich stets als starker Bruch mit dem Vorher äußert. Ein Abschluss kann so gefunden werden.
- Das 19. Jahrhundert ist im Kontrast zum vorausgegangenen Kriegsjahrhundert eher von gesellschaftlichen als von politischen Fragen bestimmt. Die Industrialisierung und Verstädterung prägt die Künste. Gerade in der Mode verbreiten sich Trends fortan schneller: Neue Handelswege und Stadtgemeinschaftsbildung tragen dazu bei.
- Die Gesellschaft spaltet sich gerade noch in die Arbeitenden und diejenigen, für die gearbeitet wird. Die Zugehörigkeit zu einer der Gruppen drückt sich in der Mode aus. Heute kennt man es als Markenmobbing: Wer in der Schule keine Markenkleidung trägt, kann leicht ausgegrenzt und teils sogar gemobbt werden. Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist Kleidung ein Spiegel von Wohlstand und Armut. Der Stil der arbeitenden Bevölkerung ist funktional, während die wohlhabendere Gesellschaftsschicht eine ästhetikorientierte Form der Kleidung verfolgt. Kurz nach dem Anbeginn der Industrialisierung steigt schließlich das bürgerliche Selbstbewusstsein.
- Als Kunstepochen wiederum beeinflussen Klassizismus, Romantik und Realismus den Kleidungsmarkt. Während des Klassizismus wird mit den pompösen Formen und verspielten Grundsätzen des vorausgegangenen Barock gebrochen. Die darauffolgende Romantik wendet sich wieder gegen Klarheit, Verstandsorientierung und Geradlinigkeit des Klassizismus. Der Realismus schließlich fordert kurz darauf wieder Klarheit ein.
Dieses Auf und Ab der Künste lässt den Kleidungsstil nicht unberührt. Auch hier sind im Laufe des Jahrhunderts einige Schwankungen zu beobachten. Ausgehend von der Mode des Empire, demnach der Napoleonzeit, entwickelten sich im 19. Jahrhundert mehrere Strömungen.
Mode 1800-1900 - vom Empire bis zur Gründerzeit
Bei einer Beschreibung der Mode zwischen 1800 und 1900 muss deutlich zwischen Herrenmode und Frauenmode unterschieden werden.
- Die Klassizismus-Begeisterung für die Antike verbreitet und festigt sich rasant. Auch die Damenmode richtet sich in der Empire-Zeit daher nach dem antiken Griechenland aus. Unter der Brust lose zusammengebundene und bodenlange Gewänder mit auffällig kurzen Ärmeln sind modern. Spitze und weite Ausschnitte gehören dazu. Ebenso zählen federbesetzte Leinenhüte, griechische Titusfrisuren, absatzlose Sandalen, Seidenbänder und Schultertücher zum guten Ton. Als Accessoires dienen Handschuhe, die bis über die Ellenbogen reichen. Geschminkt wird sich so weiß wie möglich, um an griechische Statuen zu erinnern.
- Mit der Frauenmode hat die Männermode der Napoleonzeit lediglich zwei Dinge gemein: die Begeisterung für Stoffe wie Leinen und die Leidenschaft für hohe Hüte - im Falle der Männer sind das vor allem Zylinder. Zu relativ funktionalen Hosen aus Leinen werden kniehohe Stiefel getragen. Anders als die helle Leichtigkeit der Frauenmode strahlt die Männerbekleidung dunkle Schwere aus. Ein zweireihig geknöpfter, dunkler Frack ist Pflicht. Der Hemdkragen wird hochgestellt. Als Accessoires trägt man(n) neben Hosenträgern und Gamaschen eng um den Hals geschnürte Halstücher. Ins Gesicht gekämmtes Haar und Backenbart runden das Erscheinungsbild ab.
- Kurz nach der Romantik wird das Erscheinungsbild der Männer heller. Halbstiefel, Hosen aus weißen Leinen und Westen aus gestreifter Seide sorgen für eine Auflockerung der klassizistisch inspirierten Strenge. Etwa zeitgleich entfernt sich das Gewand der Frauen von den Formen des alten Griechenland.
- Eine Wespentaille und üppige Ärmel stehen für die Damen nun im Mittelpunkt des Interesses. Umschlagtücher aus Seide, blumenverzierte und breite Hüte geraten in Mode. Selbiges gilt für ärmellose Mäntel. Die absatzlosen Schuhe werden mit Bindebändern geschnürt. Die mittelgescheitelten Haare kämmt man vorne ins Gesicht und trägt es an den Seiten vorwiegend in langen Locken. Das gilt zur gegebenen Zeit übrigens auch für die Männer.
- Abgelöst wird die sogenannte Biedermaier-Strömung gegen Mitte des Jahrhunderts von der Modeepoche des Zweiten Rokoko. Die Männer tragen statt Frack nun Sakkos und später Smokings. Ihre leichten Leinenhosen sind gestreift und röhrenförmig. Die Weste verliert ihre Verspieltheit und wird einfarbig. Außerdem setzen sich Stiefeletten, Vollbart und lose Krawatte durch.
- Die von Paris beeinflusste Frauenmode besteht weiterhin aus wespentaillierten Kleidern. Allerdings wird die Taillierung durch ein Mieder perfektioniert und von drahtgespannten Ornament-Röcken und bauschigen Unterröcken betont. Die Haare trägt man hinten zusammengesteckt. Die Schuhe werden höher, die Mäntel kürzer und die Kleiderfarben dunkler, wobei als Hauptaccessoire weiterhin der Fächer dient.
- Während der Gründerzeit ist die Männermode legerer. Der Bart darf in sämtlichen Formen getragen werden. Sakko und Smokings sind nicht mehr Pflicht. Als Accessoire bürgert sich ein Gehstock ein. Die obligatorischen Stiefeletten laufen vorne spitz zusammen. Selbiges gilt für die hochhackigen Frauenschuhe.
- Fortan betonen die Damen mit einem engen und aufwendig bestickten Rock den Po-Bereich. Einer Polsterung wird in die Rückseite der Röcke eingearbeitet. Über den Hüften wird ein geraffter Überrock getragen, der nach hinten zu einer Schleife gebunden oder ähnlich einer Schleppe drapiert wird. Die langärmelige Oberbekleidung fällt an den Armen weit aus und läuft am Handgelenk eng zusammen. Geschlossen wird das Oberteil mit einer Knopfleiste, die in der Regel bis über den Unterhals reicht. Die Haare trägt man dazu hochgesteckt. Durch Haarteile wird ihr Volumen erweitert. Handschuhe sind noch immer Pflicht. Weiteres Accessoire sind beutelartige Taschen. Pelz wird unabhängig vom Geschlecht zum Statussymbol.
- Zur Jahrhundertwende verändert sich die Männermode wenig. Die Damenbekleidung allerdings wird wieder griechischer, da die geschnürte Taillierung als Gesundheitsrisiko erkannt wird. Für beide Geschlechter sind Jugendstileinflüsse und breite Frisuren mit aufwendigen Hüten modern.
Für einen Überblick ist nun gesorgt. Lust, die Mode von damals selbst zu tragen? Durch die Schnelllebigkeit der Modeerscheinungen während des 19. Jahrhunderts ist das stilbewusste (Ver-)Kleiden gemäß 1800-1900 gar nicht so leicht. Funktionieren kann es dennoch.
(Ver-)Kleiden wie im 19. Jahrhundert - so geht's
Wenn Sie Lust bekommen haben, den Stil des 19. Jahrhunderts am eigenen Leib zu testen, dürfen Sie die nachfolgenden Punkte nicht ignorieren.
- Wählen Sie als Dame einen der beiden Hauptstile: die stark taillierte Miedermodenvariante oder die griechische Lockerheit. Als Mann entscheiden Sie zwischen den Varianten elegant und legere.
- Spitzenornamente gehören bei Frauen für beide Varianten zum guten Ton. Tragen Sie unabhängig von Ihrer Wahl außerdem Handschuhe und einen Hut. Männer wählen als Hut standesgemäß einen Zylinder. Setzen Sie außerdem auf Hosenträger. Die passen zum Gesamtjahrhundert.
- Als Mann tragen Sie unabhängig von der Stilvariante dunkle Stiefeletten. Frauen dagegen entscheiden zwischen absatzlosen Sandalen der griechischen Art und hochhackigen Sandaletten der Miedervariante.
- Die Haare drehen Sie als Frau für die griechische Form zu Locken. Für die Miedermodenvariante binden Sie das Haar zu einem hochgesteckten Knoten. Für die Herren spielt das Kopfhaar bei der Verkleidung eine deutlich geringere Rolle. Wichtiger ist der Bart: Entscheiden Sie zwischen Vollbart und Backenbart.
Damit steht das Grundgerüst für die (Ver-)Kleidung à la 19. Jahrhundert. Selbstverständlich können Sie Ihr Kostüm gemäß der Einzelstilbeschreibungen ergänzen. Das ist aber entsprechend aufwendig.
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