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Die "Kant-Krise" - Begriffserklärung

Kant-Krise: Gute Bücher bringen neue Gedanken.
Kant-Krise: Gute Bücher bringen neue Gedanken.
Dem angehenden Germanisten und manchem Schüler eines Gymnasiums beziehungsweise einer gymnasialen Oberstufe begegnet während seiner Studien das Werk und die Person des Heinrich von Kleist. Eines der großen Rätsel der Persönlichkeit des großen Schriftstellers ist die sogenannte "Kant-Krise". Was hat es mit diesem Begriff auf sich?

"Kant-Krise" als Begriff - Grundwissen über die Entwicklung

  • An der sogenannten "Kant-Krise" ist der Namensgeber - nämlich der Königsberger Philosoph Immanuel Kant - eigentlich völlig unschuldig. Lediglich sein Buch "Kritik der Urteilskraft" darf als indirekte Ursache des geistigen Umbruches im Leben des Heinrich von Kleist (1777 bis 1811) in Betracht gezogen werden. Heinrich von Kleist hatte um das Jahr 1801 seine wissenschaftliche Ausbildung aufgegeben und sich in den Staatsdienst begeben.
  • Der Begriff der Kant-Krise ("Kantkrisis") wurde erstmals von Norbert Thomé im Jahre 1923 verwendet wurde. Doch hatten Zeitgenossen, die Heinrich von Kleist überlebt hatten, noch von einer Umstrickung durch Philosophen (De la Motte-Fouqué), oder einem schweren innerlichen Kampf (Ludwig Tieck in der Einleitung zur ersten Auflage der Werkausgabe Heinrich von Kleists 1821) geschrieben. Bereits in der zweiten Auflage der Werkausgabe 1826 sprach Tieck von größter Ergebenheit von Kleists in die kantische Philosophie, die er jedoch "weder zu fassen noch zu würdigen verstand".
  • Erst Eduard von Bülow spricht in der ersten Kleistbiografie (1846) von einer inneren Krise und legte damit die Ansätze dafür, dass der biografische Umbruch von 1801 als Krise der Weltanschauung gedeutet werden konnte. Doch ist die neuere Kleistforschung (etwa Gerhard Schulz im Jahr 2007) der Ansicht, dass es sich bei der "Kant-Krise" keineswegs darum gehandelt habe, dass Heinrich von Kleist Kants „Kritik der Urteilskraft“ gelesen hat und darüber in Verzweiflung verfallen wäre.
  • Vielmehr hatte sich Kleist offenbar bereits Monate zuvor - man hatte Briefmaterial ausgewertet - von den Wissenschaften abgewendet, die ihm offenbar bereits damals zu deutliche Spezialisierungstendenzen zeigten (so Jochen Schmidt im Jahr 2003). Die bevorstehende Hochzeit mit Wilhelmine von Zenge und der damit in Zusammenhang stehende Wechsel in den Staatsdienst war, neben der Rezeption der Zivilisationskritik Rousseaus, ein weiteres Element des Umbruches.

Immanuel Kant und sein Einfluss auf Heinrich von Kleist

  • Doch hatte Heinrich von Kleist Immanuel Kant, oder vielleicht nur von dessen Interpreten Carl Leonhard Reinhold, gelesen (zur Diskussion siehe Kristina Finks Buch zur Kant-Krise von 2012). Kleist hatte dies eindeutig während dieser Umbruchphase getan.
  • Sinnbildlich für die Kant-Krise ist das "Grüne-Gläser"-Gleichnis, das Kleist in einem Brief gegeben hat. Nähme man danach an, dass alle Menschen anstelle der Augen grüne Gläser hätten, so hätten sie gar keine Möglichkeit, die Welt anders wahrzunehmen als in der Tönung dieser Gläser. Eine objektive Erkenntnis sei so unmöglich - dies widersprach dem damals vorherrschenden Bild der Wissenschaften.
  • Ob Kants Werk nun Auslöser - oder nur eine Ursache der weltanschaulichen Komponente - der Lebenskrise des Heinrich von Kleist war, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Der Begriff der Kant-Krise meint eine Zerrüttung des Weltbildes des Heinrich von Kleist durch den übermächtigen intellektuellen Einfluss durch Immanuel Kant. Die durch ihn bezeichnete Umbruchsituation darf mit Kristina Fink (2012) als Schlüssel zum Verständnis des Werkes von Kleists gesehen werden. 
  • Dabei handelt es sich um einen umstrittenen, wenn auch einprägsamen, Begriff. Verwenden Sie diesen Begriff als Schüler oder Student, so wird der Leser oder Zuhörer eher wissen, was Sie meinen, als wenn Sie über eine "tiefe Lebenskrise im Jahr 1801" sprechen. Versäumen Sie aber, besonders als Student, nicht, darauf hinzuweisen, zu welchem Zweck Sie diesen Begriff verwenden. Wissen Sie als Student um die Diskussion, so wird Ihnen dies Pluspunkte einbringen, während bei einer Verwendung ohne Kommentar Ihre Fähigkeit zur kritischen Reflexion infrage gestellt werden kann.
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