So funktioniert Sprache nach Roman Jakobson
Laut Jakobson kann sich ein sprachlicher Beitrag in einem konkreten Kontext auf je eine von sechs Sprachfunktionen konzentrieren.
- Jede der sechs Funktionen spiele eine Rolle für jede beliebige Äußerung, weil Kommunikation bei Ignorieren einer oder mehrerer der Funktionen unmöglich sei. Meist stehe allerdings eine der sechs Funktionen im Mittelpunkt.
- "Ich habe keine Ahnung, auf was du dich beziehst." Äußern Sie sich dergleichen, dann ist Ihr Beitrag vorrangig referenziell. Sie konzentrieren sich in diesem Fall auf den Kontext bzw. die Inhaltsseite von Sprache. Im genannten Beispiel wird die Referenzialität der Äußerung sogar selbst zum Thema der Aussage.
- "Aua, das tut weh!" Eine derartige Äußerung konzentriert sich anders als ersterer Satz auf den persönlichen Ausdruck des Sprechers. Jakobson würde Ihre Aussage in diesem Fall emotiv nennen.
- Fordern Sie einen Hörer dagegen auf, Ihnen nicht weh zu tun, dann konzentriert sich Ihre Aussage auf die konative Sprachfunktion. Sie formulieren Ihren Satz vorrangig dazu, eine Botschaft an den Gesprächspartner zu senden.
- Eine Äußerung mit Konzentration auf die metalinguale Funktion von Sprache wäre dagegen eine Formulierung, die die Sprache als solche thematisiert. Jakobson spricht in diesem Fall mitunter von der Selbstreferenzialität von Sprache.
- Unter der phatischen Funktion wiederum versteht er alle Äußerungen, die den Kommunikationskanal erhalten. Ein Beispiel hierfür wären Formeln wie: "Hörst du mich überhaupt?". Aufgabe solcher ist nicht viel mehr als die Aufrechterhaltung der Kommunikation.
- Zuletzt kann eine Aussage nach Jakobson auf die Mitteilung selbst konzentriert sein. In diesem Fall spricht der Linguist zuweilen von der poetischen Funktion der Sprache.
Was aber heißt das genau?
Poesie durch "Sprache an sich"
Für Jakobson ist es das sprachliche Material, demnach die Lautgestalt, was Poesie ausmacht.
- Die Konzentration des Sprechers auf die Mitteilung selbst, ist für ihn der Eigeneffekt von Sprache. Was soll das nun wieder heißen? Ganz einfach: Die Bedeutung einer Äußerung tritt hinter die formale Sprachgestalt zurück. Lautkombinationen und Strukturen gewinnen an Wert. Es geht um die Sprache als Sprache an sich - um ihre äußere Form.
- Jakobson erklärt durch diese Theorie die Relevanz von Stilmitteln für die Poesie. Poetisch klingt seinen Ausführungen zufolge der Eigenwert von sprachlicher Gestalt. Ein Laut beispielsweise besitzt seiner Meinung nach auch dann poetischen Wert und Bedeutung, wenn er für sich alleine steht. Mit dieser Theorie leistet Jakobson einen wichtigen literaturwissenschaftlichen Beitrag.
- Ein Beispiel: Bei Stilmitteln wie der Alliteration geht es dem Literaten nicht um den Inhalt von Worten. Es geht um den Effekt der Laute selbst. Die Sprachform im Sinne der Lautgestalt und -kombination wirkt autofunktional. Sie steht für sich selbst.
- Praktische Sprache ist so laut Jakobson klar von poetischer abzugrenzen. Sie wolle vorrangig Bedeutung und Inhalt von Worten und Wortkombinationen vermitteln. Beim alltäglichen Sprechen geht es nicht um die Sprache als Sprache, sondern um den Sprecher und seine Bedürfnisse.
- Mehrdeutigkeiten sind in praktischer Sprache beispielsweise ungern gesehen, während sie in der poetischen Sprache unabkömmlich sind. Der poetische Text nämlich will in seinem Inhalt nicht eindeutig verstanden werden, da es wie schon erklärt nicht einmal um seinen Inhalt geht.
"Allein der Vortrag macht des Redners Glück. Ich fühl es wohl, doch ich bin weit zurück." Was macht diesen Goethe-Satz laut Jakobson also zu Poesie? Es ist der Reim, das Versmaß, die Form. Die Kunst als Schönheit von Worten an sich.
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