Zielsetzung des Schulterherein
- Generell gilt, dass die Lektionen der klassischen Dressurreiterei keinesfalls nur dem Selbstzweck dienen sollten. Richtig und bewusst eingesetzt, können Sie Ihrem Pferd – gerade durch das Schulterherein – eine gezielte Gymnastizierung zukommen lassen.
- Die Gymnastizierung des Pferdes ist vergleichbar mit der Gymnastik, die ein Mensch durchführt, um sich ‚fit‘ zu halten. Mit Hilfe der Gymnastizierung soll das Pferd Muskulatur aufbauen, sowie die Gelenkbeweglichkeit und Geschmeidigkeit verbessert werden – mit dem Ziel, dass das Pferd lernt, seinen Körper so einzusetzen, dass es seinen Reiter möglichst lange unbeschadet tragen kann.
- Das Schulterherein fördert die Lastaufnahme des inneren Hinterbeines, da dieses vermehrt unter den Schwerpunkt tritt. Zugleich wird durch die Biegung des Pferdes um den inneren Schenkel, die Beweglichkeit der Wirbelsäule, sowie der Rippen verbessert.
- Durch die Biegung dehnt sich die Muskulatur an der Außenseite des Pferdes – bspw. bei einem auf der linken Hand gerittenen Schulterherein, dehnt sich die rechte Seite des Pferdes. Dieser Effekt fördert das Geraderichten, da die Muskulatur dehnfähiger und der natürlichen Schiefe des Pferdes entgegengewirkt wird.
- Die Dehnung der Muskulatur erklärt die lösende Wirkung dieser Lektion. Das bedeutet, dass Verspannungen und Steifigkeiten des Pferdes gelockert werden. Gerade für das Ausgleichen der sogenannten hohlen Seite des Pferdes ist das Schulterherein hervorragend geeignet. Ist das Pferd beispielsweise links hohl, die Muskulatur auf dieser Seite also tendenziell kürzer als auf der rechten Seite – kommt ihm vermutlich Schulterherein auf der rechten Hand besonders zugute. Achten Sie aber darauf, die Übung auf beiden Händen gleichermaßen zu reiten.
- Das Kreuzen und Spreizen der Beine bewirkt die Mobilisation des Schultergürtels und verbessert die Schulterfreiheit Ihres Pferdes.
- Die Krone der Ausbildung eines Pferdes ist die Versammlung. Diese beinhaltet, dass das Pferd vermehrt die Hanken beugt und mehr Gewicht auf die Hinterhand nimmt, wodurch die Vorhand entlastet wird. Beim Schulterherein wird das Pferd dazu animiert, mehr Gewicht mit dem inneren Hinterbein aufzunehmen und unter seinen Schwerpunkt zu treten. Durch diese vermehrte Lastaufnahme des Hinterbeins kann sich das Schulterherein positiv auf die Versammlungsbereitschaft des Pferdes auswirken.
Hilfen für das Schulterherein richtig geben
Die Hilfengebung des Reiters setzt sich generell zusammen aus Sitzhilfen, also der Positionierung von Becken- und Schultergürtel, sowie Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen. Im Folgenden wird beschrieben, wie Sie die Hilfen für das Schulterherein geben, wenn Sie auf der linken Hand an der langen Seite der Bahn an der Bande entlang reiten. ‚Innen‘ ist also in diesem Fall links und ‚außen‘ meint rechts.
- Für ein korrektes Schulterherein bleibt die Hinterhand des Pferdes auf dem Hufschlag. Die Vorhand kommt, wie der Name bereits impliziert, hinein in Richtung der Bahnmitte. Grundsätzlich gilt, dass die Position Ihrer Schultern und Ihres Beckens der Position von Schultern und Becken des Pferdes entsprechen sollte. In der Praxis bedeutet dies, dass Sie das Schulterherein durch eine Drehung Ihres Oberkörpers in Richtung Bahnmittelpunkt einleiten können. Ihr Becken bleibt dabei in seiner Position, sozusagen rechtwinklig zur Bande. Gleichzeitig richten Sie Ihren Blick in Reitrichtung, also am Hufschlag entlang.
- Verlagern Sie Ihr Gewicht auf den inneren Sitzknochen. Da Sie das innere Hinterbein aktivieren möchten, „sitzen“ Sie auch auf diesem Hinterbein.
- Ihr innerer Schenkel – in diesem Fall der linke – animiert das Pferd durch Druck am Gurt zum Untertreten mit dem linken Hinterbein. Da Sie Ihr Pferd beim Schulterherein biegen möchten, sollte dieser Druck am Sattelgurt und im Moment des Abfußens des Hinterbeins erfolgen. Wenn Sie die Schenkelhilfe zu weit hinter dem Gurt geben, wird das Pferd folgerichtig mit der Hinterhand ausweichen und die gewünschte Biegung des Pferdes kann nicht erfolgen. Hier wird der wesentliche Unterschied zur Lektion „Schenkelweichen“ deutlich. Beim Schenkelweichen bleibt das Pferd in sich gerade, mit einer minimalen Stellung im Genick, aber ohne Längsbiegung des Körpers. Es kreuzt schlichtweg mit den Beinen. Der gymnastizierende Effekt ist folglich ein anderer.
- Ihr äußerer rechter Schenkel liegt verwahrend hinter dem Gurt und verhindert dadurch ein Ausweichen der Hinterhand.
- Der innere Zügel führt das Pferd sanft in die Biegung, der äußere Zügel gibt die Richtung und Abstellung des Pferdes vor. Versuchen Sie nicht Ihr Pferd mit dem inneren Zügel nach innen ziehen zu wollen. Die Hilfengebung sollte hauptsächlich aus Ihrer korrekten Becken- und Schulterposition, der Gewichtshilfe, sowie dem inneren Schenkel und dem äußeren Zügel bestehen.
- Achten Sie darauf, dass Ihr Pferd sich nicht im Genick verwirft. Die richtige Position erkennen Sie meist daran, dass die Ohren auf einer Höhe bleiben.
- Die Abstellung und der Biegungsgrad lassen sich beim Schulterherein variieren. So ist das Reiten auf 3 Hufschlägen, das innere Hinterbein fußt dabei in die Spur des äußeren Vorderbeins, oder 4 Hufschlägen möglich.
- Prinzipiell können Sie Schulterherein in allen Gangarten reiten. Von der Bewegungsmechanik her, kommt das Schulterherein der Trabbewegung des Pferdes am nächsten. Im Galopp sollten Sie zunächst mit weniger Abstellung beginnen, da der koordinative Anspruch an das Pferd dabei sehr hoch ist und die Stolpergefahr steigt.
- Hier sehen Sie, wie ein richtig ein richtig gerittenes Schulterherein aussehen kann, sowie ein Negativbeispiel.
Tipp: Die Hilfengebung beim Schulterherein ist der beim Reiten einer Volte sehr ähnlich. Reiten Sie an der Bande entlang und stellen Sie sich vor, Sie wollten immer wieder zu einer Volte ansetzen, teilen dem Pferd dann durch den äußeren Zügel und eventuell vermehrten Einsatz des inneren Schenkels mit, dass Sie nun doch weiter an der Bande entlang möchten.
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